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"Canthus
to Canthus"
Auftragswerk Thun 99 für variable Instrumentalbesetzung, Stimme und
Tonband nach 18 Textfragmenten (sand.soda.lime) von Anne Blonstein.
Dauer: 18 Minuten
Die Komposition besteht aus 5 Ebenen:
1) 1. Tonband-Collage: Ein Klangsystem geformt mehrheitlich aus Sprache
(das Tb könnte streckenweise auch als Chor betrachtet werden )
2) Solo Stimme (live): Als Deutung der Textfragmente,Versuch des Dialogs
3) Solo Instrument(e) (live): Lotet den musikalisch freieren Raum aus
4) Weitere Instrumente (live): Beschreiben über 5 Oktaven ein zeitlich
genau definiertes, langsam aufsteigendes Glissando eine Metapher
für das Unaufhaltsame der Zeit.
5) 2. Tonband: Eine ursprünglich nur 10" dauernde Aufnahme eines
bedrohlichen Massengebrülls (von 1939) wurde mittels eines elektronischen
Verfahrens auf 15 Minuten ausgedehnt ("stretched") und ist mehr
oder weniger deutlich wahrnehmbar..
Für "Canthus to Canthus" hat Anne Blonstein 18 Textfragmente
geschrieben: "sand.soda.lime" (=die Grundelemente von Glas).
Poetische Texte, die sich, aus der subjektiven Sichtweise von Mela Meierhans,
vor allem mit der Realität von Vertriebenen auseinandersetzen. Die
Komponistin hat diese Texte aufgenommen, elektronisch bearbeitet, verfremdet
und zu einem Tonband montiert.
Zusätzlich wurden Ton-Splitter aus Geschichte und Gegenwart, die
Stimmen von Frauen unterschiedlicher Herkunft sowie Auszüge aus der
Menschenrechtscharta darin verwoben.
Alle Töne (die verwendeten Tonreihen und Aktionen) der Live-Stimme
sowie der Live-Instrumente wurden durch einzelne Worte aus den Textfragmenten
oder durch ihre jeweilige Aussage bestimmt.Die Komposition lässt
einen gewissen Gestaltungs-Spielraum offen und ermöglicht dadurch
die Mitbestimmung der jeweiligen InterpretInnen.
*aus textfragment 12:
"the canthus to canthus blood red"
canthus ="die ecke des augenli(e)des"
canto= gesang
mela meierhans, Mai 99
Zu: Mela Meierhans "Canthus to Canthus"
für Glasinstrumente, Stimme und Tonband
von Laura Gallati, Berlin
Mela Meierhans' im Frühjahr 1999 fertiggestellte Komposition "Canthus
to Canthus" besteht in ihrem determinierten Teil aus einer Tonband-Collage,
deren konstitutiver Zusammenhang lyrische Texte der in Basel lebenden
englischen Dichterin Anne Blonstein bilden. Sprache, zerhackt, zerdehnt,
multipliziert, überlagert oder auch unverändert, wird zum Klangsystem,
wird als solches konfrontiert mit Sprache als Bedeutungssystem den exemplarisch
ausgewählten Textfragmenten aus Blonsteins Lyrik und eingewebten
politischen Manifesten wie etwa Artikeln der Menschenrechtscharta oder
Nennungen von Frauennamen unterschiedlicher Herkunft. Die Sprechstimmen
auf Band werden von der live dazu kommenden Singstimme "deutend"
beim Wort genommen. Zusammen mit der Singstimme lotet ein Teil der ebenfalls
live gespielten Glasinstrumente den freien Raum aus, dessen Kontrapunkt
ein chromatischer Cluster (/langsam aufsteigendes Glissando) der übrigen
Glasinstrumente ist, der in präzisem zeitlichen Abstand über
fünf Oktaven das nicht irritierbare Vergehen der Zeit symbolisiert.
Als letzte Ebene legt sich ein zweites Tonband unter das Ganze: Die zerdehnte
Langzeitversion eines bedrohlichen Massengebrülls (von 1939), eine
ursprünglich nur 10 Sekunden dauernde Aufnahme, hier elektronisch
auf 15 Minuten "gestretcht", mehr oder weniger deutlich wahrnehmbar.
Die fünf Ebenen ergeben eine oszillierende Polyphonie, die von dem
alten Drama politisch engagierter Musik Kunde gibt: Ist avancierte Musik
per se imstande, politisches Denken anzustossen? Oder braucht sie die
Eindeutigkeit des Bedeutungssystems Text, um in die "richtige"
Richtung zu denken?
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