STAATSOPERHANNOVERX / ZEITOPER07



25 . Juni 2004, Uraufführung, ballhofeins

Grandprix oder Deutschland sucht seine Lieder

Text von Jessica Kleffner, Steffen Oestreich, Armin Purkrabek
Kompositionen von Mela Meierhans, Willy Daum, Jochen Neurath

Rettet den Grandprix! Bis heute ist der Gesangswettbewerb als musikalische Gattung ein deutsches Thema geblieben. Die neue Ausgabe der zeitoper beschäftigt sich mit dem Phänomen des Treffers, engl. „Hit“. Was macht seine Essenz aus: Wer oder was wird musikalisch „getroffen“? Was bringt das Kompetitive dabei? Das Mitfiebern, die Identifikationsmomente mit dem Star? Welche Randgeschichten und Nebenschauplätze spielen dabei eine Rolle? Es sind die Komponisten Mela Meierhans, Jochen Neurath und Willy Daum, die, zusammen mit den Sängern Carmen Fuggiss, Volker Thies und Till Bleckwedel, den Grandprix in diesem Sinne musikalisch neu erfassen und beleben.

Musikalische Leitung und Einstudierung: Willy Daum
Regie, Bühne, Kostüme, Video: Jessica Kleffner, Steffen Oestreich, Armin Purkrabek
Dramaturgie: Xavier Zuber
C- Sara Kern: Carmen Fuggiss; B- Moses Schäfer: Volker Thies;
A- Chris Gent: Till Bleckwedel

Musiker:
Willy Daum (Klavier/Gitarre/Keybord), Jana Mischenina (Violine), Marcus Linke (Schlagwerk), Pauline Boeykins (Tuba)
In Kooperation mit der Hochschule für Gestaltung (HFG) Karlsruhe
Weitere Vorstellungen: 26. und 27. Juni

www.zeitoper.de

zeitoper oder für ein Musiktheater der Zeit

Unter dem Schlagwort zeitoper etabliert die Staatsoper Hannover ein Forum zur Entstehung neuer musiktheatralischer Werke. Ab der Spielzeit 2002/03 ist auch die Ausschreibung eines Kompositionswettbewerbs geplant.

Der Name zeitoper ist Programm und verpflichtet sich folgenden Spielregeln:

§ 1 zeitoper versteht sich in Anlehnung an die Berliner Opernästhetik der 20er Jahre. Dabei sollen allerdings nicht nur, wie Kurt Weill oder Alban Berg damals kritisch forderten, die "äußeren Lebensumstände" und "der schnelle Lebensrhythmus" der Zeit musikalisch in den Mittelpunkt gesetzt werden. Vielmehr soll nach Möglichkeiten gesucht werden, wie Atmosphären und Begebenheiten unserer Zeit in theatralische Geschichten zu fassen sind.

§ 2 zeitoper soll schnell und spontan auf Einfälle und Themen der Gegenwart reagieren. Sie fordert weder künstlerische Lebenswerke, noch das mythologische Epos von den "ersten und letzten Dingen" dieser Welt.

§ 3 zeitoper behauptet kein ästhetisches Programm, sie soll sich vielmehr sparten- und medienüberschreitend mit ästhetischen Phänomenen aus Fernsehen, Literatur, Presse, bildender Kunst u.ä. befassen und dies spielerisch reflektieren.

§ 4 zeitoper ist keine elitäre Nische zeitgenössischen Komponierens, sondern versteht sich als Ausdruck eines Musiktheater-Verständnisses, das auch für den "traditionellen" Opernspielplan gilt: lustvolle Pflege und Weiterentwicklung des faszinierenden Phänomens, singend Handlungen zu erzählen.

§ 5 zeitoper-Projekte schreiten in diesem Sinne auch die Peripherien und Ränder der Operntradition genussvoll aus.

§ 6 zeitoper ist eine Art zeitgenössischer "lowbudget"-Oper, die den großen, materiellen Aufwand meidet und flexibel die zum jeweiligen Zeitpunkt vom "großen Apparat" freigestellte "Man-Power" nutzt. zeitoper-Veranstaltungen sollten zunächst eine Länge von 45 Minuten nicht überschreiten.

§ 7 Dem Unternehmen Zeitoper sind auch andere Veranstaltungsformen angegliedert, wie thematische Sonderkonzerte, szenische Liederabende, inszenierte Probenprozesse und musikalische Vorträge zu einzelnen Aspekten des Repertoires.

zeitoper - eine Musik von heute für heute

Seit der Spielzeit 2001/02 gibt es an der Staatsoper Hannover das Projekt zeitoper. Initiiert hat es der dortige Dramaturg Xavier Zuber, um eine Opernpraxis des Alltags, die ihren Fundus aus dem Kleinen schöpft und auf das Zeitgeschehen reagiert. Zuber, 1967 in Basel geboren, hat mit Regisseuren und Choreographen wie Herbert Wernicke, Joachim Schlömer, Claudia Stavisky, Nigel Lowery, Calixto Beito zusammengearbeitet. Von 1998 bis 2000 war er am Theater Basel engagiert und seit 1996 lehrt er im Fachbereich Szenographie an der Karlsruher Hochschule für Gestaltung. Mit Xavier Zuber sprach Stefan Fricke.

Stefan Fricke: Wie kam es zum Projekt zeitoper?

Xavier Zuber: Da gibt es mehrere Ansätze, die aus meiner bisherigen Theaterarbeit in Basel und anderswo stammen. Ein wesentlicher Gedanke war der, dass man die Institution Oper braucht, um neue Opernformen generieren zu können. Man braucht die Sänger, das Orchester, die Bühne, die ganze Maschinerie. Als ich dann Dramaturg der Staatsoper Hannover wurde, dachte ich mir, so jetzt gehen wir neue Wege, aber erstmal im Kleinen. Und zwar eben nicht, wie das sonst gemacht wird, es gibt ein Auftragswerk und dann verschwindet ein Komponist für drei Jahre in der Versenkung und denkt so gelegentlich an die Oper. Ich dachte, es muß etwas sein, dass sich mit dem Alltag der Oper beschäftigt. Oper ist auch Praxis, ist die Kenntnis über die Möglichkeiten mit den Sängern, mit der Bühne, mit dem Orchester, mit dem
Repertoire umzugehen. Alle großen Komponisten wie Richard Wagner, um mal ein Götzenbild zu nennen, oder Guiseppe Verdi kannten die Opernpraxis sehr, sehr gut. Und die zeitoper ist eben eine Möglichkeit für Komponisten, die noch nicht für das Musiktheater geschrieben haben, sich erst einmal mit der Praxis Oper zu beschäftigen. Das gibt es im Moment nirgendwo anders in Deutschland, das man erst einmal in einer kleinen Form auf die Oper zugeht.

Fricke: Nun gibt es zum Projekt zeitoper auch eine Art Manifest...

Zuber: Manifest ist sicher übertrieben. Es sind eher Regeln, um die Konzentration auf das Wesentliche beizubehalten. Aufgestellt habe ich sie vor allem deswegen, um sich nicht ablenken zu lassen. Es ist ja oft so: man sagt zu jemanden "Komponieren Sie eine Oper" und der denkt dann "riesig, monumental, Biografie (Kafka, Celan), historische Figuren, Helden". Das will ich alles nicht, das ist der falsche Weg. zeitoper versucht, ein Thema ganz streng, inhaltlich wie musikalisch, erstens wiederaufzustellen und zweitens sich an der Durchführung des Inhalts zu reiben. Intensiviert werden soll die Suche nach einer gestischen Musik, um hierin der Frage nachzugehen "Was ist denn Musik heute, die für das Theater heute komponiert wird". Es geht der zeitoper darum, auf das Zeitgeschehen einzugehen. Und zeitoper ist der
prägnanteste Begriff, ganz direkt, unmittelbar auf die Geschehnisse unserer Realität, unseres Alltags in Musik reagieren kann.

Fricke: Eine Musik von heute für heute...

Zuber: Ja, für heute, nicht für morgen. zeitoper will nicht die Mythen, die ersten und letzten Fragen behandeln. Es will zum Beispiel den Autounfall thematisieren wie in carcrash von Ralf R. Ollertz und Willy Daum, unserem zweiten zeitoper-Projekt. Das ist wirklich eine moderne Tragödie, die man täglich in der Zeitung lesen kann. Und das geschieht im zeitoper-Projekt in der Absicht, daß das Theater Bewußtsein, Aufklärung schaffen muß, für die Dinge, die uns umgeben, für die Realität, in der Mensch steht. Natürlich gehören die ersten und letzten Fragen dazu, aber wir müssen in den Themen viel banaler werden, weil der Alltag unglaublich banal ist. Es ist ja
wirklich so, dass man über ein kleines Steinchen stolpern kann, dass uns plötzliche eine Krankheit ereilt, dass man einen Bus verpasst, dem blauen Brief im Briefkasten, eine Mahnung oder ein Kündigungsschreiben ... Also diese kleinen Dinge müssen wieder ins Theater zurück, ohne dass sie mehr sind als sie sind.

Fricke: Schon in Marinettis "Manifest des Futurismus" (1909) heißt es "ein aufheulendes Auto, das auf Kartätschen zu laufen scheint, ist schöner als die Nike von Samothrake". Gibt es zu den futuristischen Ideen konzeptuelle Verbindungen?

Zuber: Natürlich sind die Futuristen immer da, wenn man sich mit Ästhetiken des Theaters oder der Dichtung beschäftigt. Aber das ist nicht der Ausgangspunkt gewesen. Es geht im zeitoper-Projekt nicht um eine Ästhetik, um eine Oberfläche oder um eine Glattheit. Es geht um Wahrnehmung, um die Möglichkeit das, was man alltäglich erlebt, auf die Bühne zu transportieren. Die Bühne holt die Geschichten dort ab, wo sie entstehen. Es geht wirklich um den Alltag.

Fricke: Also doch die Formel "Leben = Kunst"...

Zuber: Ja, aber natürlich in der Überhöhung. Der ästhetische Kontext wird nicht preisgegeben. zeitoper ist auf der Suche nach der adäquaten Form. Also es geht nicht darum wie bei den Produktionen der Münchener Biennale, virtuelle Welten zu konstruieren, die scheitern, weil sie ihren selbstgesetzten Anspruch nicht erfüllen können, weil deren ästhetisches Konzept viel zu einengend ist. Für mich geht es darum, die bereits existierenden Möglichkeiten, vielleicht auch neue, zu nutzen, um den Alltag künstlerisch umzusetzen, fast schon journalistisch zu arbeiten.

Fricke: Bisher wurden zeitopern von Juliane Klein, Ralf R. Ollertz und Willy Daum realisiert. Geplant sind weitere Musiktheaterstücke von Johannes Harneit, Burkhard Niggemeier und als nächste Produktion im September 2002 noch einmal Juliane Klein...

Zuber: ... mit ihrer zeitoper "Arabische Pferde" auf einen Text von Yoko Tawada und Karl-Heinz Ott. Die handelt von der Welt Rennställe und der internationalen Pferdejetsets samt ihrer exklusiven Entourage.

Fricke: Und worum geht es in Kleins erster zeitoper, mit der die Serie vor einem Jahr eröffnet wurde.

Zuber: Juliane Kleins "westsidestory. Eine Tischoper im Format H0" war der Start, die Initiation der zeitoper und diese resultierte aus dem Definitionsversuch "Was und wieviel braucht man eigentlich für eine Oper?". Und als kleinstmögliche Version von zeitoper kamen wir auf die Tischoper, und es entstand die Lust am Spiel. Daraus resultierte eine halbstündige Oper mit Duett, Ariosi, großer Arie und einem wunderschönen Saloon-Song. Die Geschichte ist ganz einfach: David West, der Protagonist, wird von seiner Mutter nach Kalifornien geschickt, um seinen Vater, der dort Gold schürft, zurückholen. Und auf der Eisenbahnfahrt dahin fällt plötzlich ein Baumstamm auf die Strecke und die Indianer sind da und er muß mit dem Pferd nach Hilfe suchen, fällt in die Arme einer schönen Frau, die Frau wird dann entführt,
der Entführer verkauft die Frau dann an die Indianer, er befreit sie dann, flieht mit ihr über den See in die Berge.

Fricke: Eine Story mit allen Klischees...

Zuber: Ja, aber mit den Klischees ist das ja so eine Sache. Es geht natürlich weniger um die Klischees als vielmehr um die unerwarteten Ereignisse. Man muß das Publikum ja auch überraschen. Das ist etwas wichtiges, was ja heutzutage den großen Werken nurmehr selten gelingt. Dann saßen wir mit dieser Geschichte um einen Tisch herum und haben diese Story wie im Kinderzimmer mit Spielfiguren durchgespielt. Und das hat so einen Spaß gemacht, dass plötzlich der Tenor sagte "Ich bin David West". Und damit ist man von der Spielfigur weggekommen und hat den Sprung. Da ist plötzlich ein Moment, wo ein Spiel zur Oper wird.

Fricke: Zum zeitoper-Projekt der Staatsoper Hannover gehören auch die das Vorhaben ergänzenden Programmreihen zeitkonzerte, opera X, geräuschekammer,
in denen weitere experimentelle Darbietungsformen von Musik oder Musik und Szene präsentiert werden. Außerdem gibt es noch die standpauke, eine zweimonatige Vortragsserie mit Komponisten, wo sie darüber reden, was sie von der Oper, auch von der Institution Oper erwarten. Sind Anfragen weiterer Komponisten willkommen?

Zuber: Ja, gerne.

Das Gespräch fand am 7. Mai 2002 in Hannover statt.

 

Neue Oper in Hannover - zeitoper an der Staatsoper

Die Reihe zeitoper an der Staatsoper Hannover steht nun in ihrem zweiten Versuchsjahr. Es hat sich gezeigt, dass ein Musiktheater, das sich den Ereignissen der Zeit widmet, sich von seinen journalistisch-ästhetischen Inhalten gelöst hat, um stattdessen thematisch in die sozio-kulturelle Situation um und in Hannover einzutauchen. Die "Stadt ohne Eigenschaften" wie böse Zungen zu Unrecht behaupten, steht im Herzen Deutschlands und ist geradezu ein Prototyp für all die urbanen Lebensräume zwischen Saarbrücken und Frankfurt an der Oder, in denen sich gesellschaftliches, aber auch kulturelles Leben täglich abspielt. Die Stadt als kultureller Mikrokosmos alter und neuer Energien, bestimmt durch die "Alteingesessenen" und die "Zugezogenen", die sich täglich begegnen und austauschen sowie ökonomisch und kulturell bereichern. Doch vermehrt macht sich ein Ignorieren, Beargwöhnen und Misstrauen breit, so ist seismographisch zu registrieren.

Das sind: Unsicherheit und die Tendenz zur Depression, die Verabschiedung von alten kommunikativen Mustern und ein Rückzug aus der politischen Verantwortung gegenüber einem ständig sich wandelnden gesellschaftlichen Leben, in der Arbeit an den stets wiederkehrenden Problemen zwischen Neu und Alt, Fremdem und Eigenem. Die zeitoper der Staatsoper Hannover spiegelt und katalysiert diese Zustände nun in den nächsten drei Projekten umso mehr, als sich im Verlauf der ersten zwei Jahre so etwas wie eine Vertrautheit und eine gemeinsame Sorge entwickelt hat. Die Aufgabe, welche die zeitoper sich auferlegt hat, bedeutet nun mehr die privaten Lebensräume in der Stadt, vermehrt auf die Rückzugsgebiete, sprich das Eigenheim oder öffentliche Orte in der ein Rückzug möglich ist, aufzuspüren und sensibel in die Arbeit einfließen zu lassen. Drei Positionen stehen als szenische Fenster bereit, hinter denen sich die Quellen befinden, die das sozio-kulturelle Leben der Stadt mit prägen. Die Autoren und Komponisten, Sänger und Musiker konzentrieren sich dort auf sogenannte "domestic-topics", ein Sich-Hinwenden auf Themen, die "in der Luft sind".

Das erste Projekt, die zeitoper05, die den Rückzug initiiert, findet noch im öffentlichen Raum statt. "Der jüngste Tag ist jetzt" ist ein szenisches Requiem, das der wachsenden Bedrohung unseres Alltags durch den Krieg Rechnung trägt. Die Form des Requiems, das Ritual, die musikalische Klage und der erwartete Trost wendet sich hier nicht direkt ans Publikum als vielmehr an die vier Vokalsolisten. Der Chor spricht zu uns von den konkreten Ursachen und die Solisten von den zunehmenden Sorgen und Ängsten gegenüber der weltpolitischen Lage. Soldaten und Witwen versus politischer Realismus stehen sich in dieser Komposition von Johannes Harneit gegenüber und dies in der Aegidienkirche im Zentrum Hannovers. Die Kirche ist Ruine und Mahnmal in einem. Hier treffen Vergangenheit und Gegenwart zusammen, um der Toten der Kriege zu gedenken. Ein Ort der Besinnung also, in dem die musikalische Darstellung im Requiem den Krieg zu einer persönlichen Frage werden lässt: "Was ist Krieg?"

Anders die zeitoper06 "Aus der Depression". Dieses Projekt wird mit der Unterstützung des Musikers und Rappers Spax in die Untiefen des inneren Monologs und in den Kern des "Single- Lebens" vorstoßen, vor dem Hintergrund des Sprechgesangs und der Tradition des Liedes. Das Ganze spielt zwischen den vier Wänden einer Wohnung mit Blick auf die Stadt. Der Austritt aus dem Arbeitsalltag in die persönliche Auszeit oder Freizeit gibt den Zeitraum vor, in dem der Mensch von einem Zustand in den anderen gerät. Die "happy hour" wird hier mit "endless" -Reimen zur Innenschau eines jungen Singledaseins.

Um Lieder und den Wettbewerb der Bedürfnisse geht es schließlich auch in der zeitoper07 "Grandprix oder Deutschland sucht sein Lied", einer Genealogie des Lieds oder Songs vor dem Hintergrund des Banalen von dem Komponisten Willy Daum. Dort bildet das tägliche Gespräch am Esstisch, irgendwo in einer Wohnung Hannovers, den Fundus nach dem, was den Menschen beschäftigt. Eine soziologische Betrachtung auf die Hitparade der meistgekauften deutschsprachigen Schlager und Popsongs. Was ist ein Treffer (Hit)? Und der Unterschied zwischen Kunstlied und Song?

Die zeitoper versucht, mit ihren Projekten die zahlreichen Sichtweisen der Musik szenisch sichtbar zu machen und in ein Spannungsverhältnis zur Tradition zu setzen.

Xavier Zuber, Dramaturg zeitoper und Oper

www.zeitoper.de

Staatsoper Hannover



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