10/05/2003 : LUCERNE FESTIVAL 2003 QUARTET NOIR


LUCERNE FESTIVAL, Samstag 13.Sept. 2003 22:00 KKL Konzertsaal


QUARTET NOIR

URS LEIMGRUBER Saxophone
MARYLIN CRISPELL Klavier
JOELLE LEANDRE Kontrabsass
FRITZ HAUSER Schlagzeug

Konzeptkompositionen von

BETTINA SKRZYPCZAK
JACQUES DEMIERRE
ALEXANDER VON SCHLIPPENBACH
MELA MEIERHANS

Auftragswerk LUCERNE FESTIVAL
Uraufführungen sowie Improvisationen von QUARTET NOIR

Vier KomponistInnen treffen auf vier herausragende ImprovisationskünstlerInnen und fragen sich: Wie schreibt eine Komponistin oder ein Komponist für ein Improvisations-Ensemble? Wie entsteht in einem kollaborativen Prozess von KomponistIn und MusikerIn ein Werk? Wie kann man als KomponistIn die SpielerInnen in neue Richtungen lenken, ohne sich auf den herkömmlichen kompositorischen Absolutismus zu stützen?- Antworten im Konzert.

www.lucernefestival.ch


Der Kanton Luzern unterstützt das Konzert mit einem Sonderbeitrag.
Schweizer Radio DRS2 überträgt das Konzert direkt.


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Konzertkritk:

© Neue Zürcher Zeitung; 2003-09-17; Seite 46; Nummer 21

Lucerne Festival
Das Paradox lebt
Das «Quartet noir» spielt Kompositionen für Improvisatoren
P. N. Wilson

Komponisten sind Kontrollfetischisten. Dem Interpreten obliegt die höhere Aufgabe, die geniale Kreation zum Klingen zu bringen. Und wenn es Schwierigkeiten gibt? «Was kümmert mich Seine elendige Geige?», raunzte schon Beethoven zu einem Musiker, der spieltechnische Einwände geltend machte. Improvisatoren sind Subjektivitätsfetischisten. Die Wahrheit liegt im Moment, und wer wagte es, diese Evidenz des Jetzt zu beschneiden? Der Saxophonist Evan Parker: «Wenn für das Zustandekommen eines musikalischen Ergebnisses einer entbehrlich ist, so ist es der Partiturenverfertiger.»
Komponisten brauchen keine Improvisatoren. Improvisatoren brauchen keine Komponisten. Und doch hat es an Versuchen nicht gefehlt, die Kluft zu überwinden - etwa bei Gunther Schuller. Die Resultate waren oft genug ernüchternd. Swingende Passagen standen beziehungslos neben Neo-Bartók, Improvisatoren wurden mit lapidaren Aufgabenstellungen abgespeist, Orchestermusiker unter kontraproduktiven Erfindungszwang gesetzt. Komposition und Improvisation - unvereinbare Haltungen? Das «Quartet noir» wollte es noch einmal wissen. Die Pianistin Marilyn Crispell, die Kontrabassistin Joëlle Léandre, der Perkussionist Fritz Hauser, der Saxophonist Urs Leimgruber: vier Musiker, die dem Jazz ebenso viel verdanken wie der komponierten Moderne und die an die Endgültigkeit des Bruchs nicht glauben mögen. So erhielten zwei Komponistinnen und zwei Komponisten den Auftrag, Musik für Improvisatoren zu schreiben. Nun waren die Ergebnisse zweier gemeinsamer Arbeitsphasen bei Lucerne Festival zu hören.
Vier Komponisten, vier Konzepte, wie sie verschiedener nicht ausfallen konnten. Bettina Skrzypczak lässt das «Quartet noir» eine Geschichte erzählen. Um die prophetische Kraft der Sibyllen geht es in «Weissagung», einer Spielvorlage, die den Verlauf eines Dramas in Tönen skizziert, von der Vorahnung über die furchtbare Erfüllung bis hin zum düsteren Epilog. Improvisation als Psychodrama, unterstrichen durch eine suggestive Lichtregie. Anders gelagert die traditionellen Momente in Alexander von Schlippenbachs «Rigaudon noir». Die Abfolge von Saxophon-, Bass-, Klavier- und Schlagzeugsoli assoziiert Jazztypisches, eingebettet in eine rondoartige Struktur wiederkehrender rhythmisch-melodischer Gestalten von formgebender Prägnanz. Man könnte es auskomponierten Free Jazz nennen, wäre die Klangsprache des «Quartet noir» nicht so von filigraner Transparenz und kammermusikalischer Zurücknahme geprägt.
Zurücknehmen, Reduzieren: Das ist das Stichwort für Jacques Demierres Zyklus «17». Aus einer Verbalpartitur von Christian Wolff hat der Genfer Komponist und Improvisator Folgen von Wörtern destilliert und für das Quartett «arrangiert». Wie diese Wörter in Klang umgesetzt werden, bleibt offen. Doch eine Struktur von Klang und Pause, von Wer-spielt-wann, ist damit definiert. Auch Mela Meierhans geht von Text aus, gibt eine Struktur vor, die die Worte von fünf Gedichten Anne Blonsteins in einen festen Zeitrahmen setzt. Anders als Demierre liefert sie diffizile Regeln der Umsetzung von Sprachlauten in Musik. «Prelude and Echo» zu spielen, sei, meint Urs Leimgruber, «wie ein neues Instrument zu lernen». Doch sprechender noch als die so unmittelbar «vertonten» Zeilen sind die Pausen zwischen den Wörtern, die den Assoziationsraum der vom Trauma der Shoah geprägten Texte öffnen.
Das Paradox lebt: vier Kompositionen für Improvisatoren, jede mit eigenem Profil, jede imprägniert mit den Klangsprachen improvisierender Musiker von heute. Als Finale eine freie Improvisation. Improvisatoren brauchen keine Komponisten. Aber im Dialog kann eine Musik entstehen, die das gesamte «humane Potenzial» (Bettina Skrzypczak) ihrer Spieler aktiviert.




Weitere Werke

 



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